Therese Thaler
Die Familie der Camelidae ist in Alt- und Neuweltkameliden unterteilt. Sie gehören zu den Paarhufern und werden den Schwielensohlern zugeordnet. Die Neuweltkameliden, die in der Gegenwart nur in Südamerika zu finden sind, umfassen die domestizierten Arten Lama und Alpaka, sowie die wildlebenden Arten Vikunja und Guanako. Ihr Lebensraum in den Anden liegt zwischen 2.600 und 4.800 m ü.d.M. Am häufigsten sind sie zwischen dem 11. und 21. südlichen Breitengrad anzutreffen (vgl. Nürnberg 2005: 18f). Nördlich findet man kleine Gruppen von Kameliden in der Nähe von Pasto in Kolumbien (1°N) und Riobamba in Ecuador (2°S), im Süden bis zum 27. Breitengrad in Zentralchile. Das wichtigste Produktionsgebiet befindet sich heute allerdings zwischen dem 11. und dem 21. südlichen Breitengrad auf einer Höhe von 3.800 bis 5000 Metern über dem Meeresspiegel (vgl. Wheeler 2012: 10). Die regionale Verteilung der Tiere ist gemäß ihrer Lebensräume unterschiedlich. Die meisten Alpakas und Vikunjas gibt es in Peru, der Großteil der Lamas lebt in Bolivien und die meisten Guanakos in Argentinien (vgl. Quispe et al. 2009: 2).

Abstammung und Domestizierung
Die wissenschaftlichen Meinungen über die Abstammung der Kameliden gingen lange Zeit auseinander. Heute geht man davon aus, dass das Lama (Lama glama) vom Guanako (Lama guanicoe) abstammt, wohingegen das Alpaka (Vicugna paco) aus der Domestizierung des Vikunja (Vicugna vicugna) stammt. Alle vier Arten sind untereinander kreuzbar und auch diese Kreuzungen sind untereinander fruchtbar (vgl. Nürnberg 2005: 18f).
Lamas wurden laut Wheeler (2012: 7) zwischen 5.000 und 4.000 v.Chr. in Argentinien und Peru domestiziert. Die Domestizierung von Alpakas fand bereits 6.000 vor Christus in Peru statt (vgl. ebd.: 11). Hiendleder und Kessler (vgl. 1997: 3) sprechen von einer Domestizierung zwischen 3.100 und 500 v. Chr. – abhängig von der Region.
Während der Inka Periode erfuhren Lamas auch die weiteste Verbreitung bis dato, nämlich bis in den Süden Kolumbiens und das Zentrum von Chile (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 7). Sie galten als ein besonderes Symbol für Reichtum. Ihre Verwendung war vielfältig: Fleisch, Haut, Knochen, Fett und Dung wurden verwertet (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 6f). Als Lastenträger waren sie von besonderer Bedeutung für die Erweiterung der Städte, der Infrastruktur, des Lebensmittelhandels und des Bergbaus (vgl. Nürnberg 2005: 23f) und auch in der Religion der Inkas spielen Lamas, Vikunjas und Guanakos eine wichtige Rolle (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 6f, Wheeler 2012: 6).
Die Ankunft der spanischen Eroberer beendete diese Periode jedoch. In den ersten 100 Jahren nach der Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier reduzierte sich das Kamelidenvorkommen in den Anden um 90% (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 7). Viele Tiere starben an mitgebrachten Krankheiten und durch die Ausbeutung im Bergbau (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 7). Außerdem wurden sie durch die von den Eroberern mitgebrachten Schafe, Ziegen, Rinder und Schweine von ihren Weideflächen vertrieben. Da die puna auf 3.000-5.000 m ü.d.M. sowohl für die Eroberer, als auch für deren Vieh aufgrund von Höhe und Klimabedingungen unbewohnbar war, konnten Kameliden und deren Züchter dort überleben und die Haltung von Kameliden in diesem Gebiet bis heute fortgeführt werden (vgl. Wheeler 2012: 10f).
Guanako
Das Guanako ist mit einer Schulterhöhe zwischen 100 und 120 cm und einem Gewicht zwischen 96 und 130 kg das größte der wildlebenden Neuweltkameliden. Die Vliesfarben variieren je nach geografischer Lage von dunklem Rotbraun im Süden zu hellerem Braun mit Ockertönen im Norden. Brust, Bauch, Innenseite der Beine und der Bereich um die Lippen, Augen und Ohren sind typisch weiß, während der Rest des Kopfes grau bis schwarz ist (vgl. Wheeler 2012: 3ff). Im Jahr 1971 wurde das Guanako von der peruanischen Regierung zur bedrohten Tierart erklärt (vgl. Wheeler 2012: 3ff). Laut IUCN Red List of Threatened Species (vgl. Baldi et al. 2014) existieren derzeit weniger als 600.000 Guanakos weltweit, 90% davon leben in Patagonien, Argentinien.
Vikunja
Das Vikunja lebt heute in extremen Höhen, zwischen 9° 30‘ und 29°S. Vliesfarben reichen von dunklem Braun bis zu hellem Beige mit weißen Stellen an Gesicht, Brust, Bauch, Beinen und Schwanz der Tiere (vgl. Wheeler 2012: 5ff). Schätzungen zufolge (vgl. Koford in Wheeler 2012: 6) gab es vor dem Eintreffen der Europäer in Südamerika höchstens 400.000 Exemplare. Laut IUCN Red List of Threatened Species (vgl. Lichtenstein et al. 2014) existieren derzeit rund 347.200 Vikunjas weltweit, wovon mehr als die Hälfte in Peru zu finden ist.
Lama
Ein ausgewachsenes Lama erreicht eine Schulterhöhe von 95 bis 106cm und ein Gewicht von 70 bis 101kg. Vliesfarben von schwarz, weiß und braun bis zu allen Schattierungen dazwischen sind möglich. Nach der Faserverteilung am Körper werden unter den Lamas 2 Typen unterschieden: das K’ara hat keine Fasern im Gesicht und an den Beinen und besitzt ein Vlies mit kürzeren, gröberen Fasern. Das Th’ampulli hat im Gegensatz dazu klar unterscheidbares Deck- und Unterhaar und ist für die Faserproduktion daher besser geeignet (vgl. Nürnberg 2005: 20). Lamas sind gute Lastentiere, sowohl für kurze als auch lange Strecken geeignet. Denn aufgrund ihrer sozialen Struktur folgen Lamas einem Leittier, was sie für den Transport besonders geeignet macht (vgl. Nürnberg 2005: 23ff).

Alpaka
Alpakas besitzen ein Stockmaß von 80 – 100 cm und unterscheiden sich von den Lamas im Wesentlichen durch ihr Vlies. Es ist lang und fein, auch die Gliedmaßen und der Kopf sind bewollt (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 9). Alpakas sind wegen der Exportmöglichkeit ihrer Fasern in Peru von ökonomisch größerer Wichtigkeit als Lamas. Das ist auf die Feinheit der Fasern und den geringen Kempgehalt darin zurückzuführen. Im Jahr produziert ein Tier abhängig von Alter, Geschlecht und Typ durchschnittlich 1,8kg Fasern (vgl. Nürnberg 2005: 24). Alpakas kommen in reinweißer, grauer, brauner, schwarzer und gescheckter Farbe vor, allerdings überwiegt derzeit die Zahl der reinweißen Tiere. Es werden zwei Rassen unterschieden: das Huacaya-Alpaka mit seinen kurzen, gekräuselten Stapel ist robuster als das Suri-Alpaka. Diese Rasse verfügt über lange, strähnige, seitlich am Körper herunterhängenden Stapel und stellt nur 10% des Alpakabestands dar. Die beiden Alpaka Rassen unterscheiden sich lediglich durch ihr Vlies (vgl. Hiendleder und Kessler 1997: 9).

Anpassungsmechanismen
An die extremen Umweltbedingungen in den Anden sind die Kameliden sehr gut angepasst. Ihr Blut enthält eine hohe Zahl sehr kleiner, elliptischer Erythrozyten, sodass eine hohe Menge an Sauerstoff transportiert werden kann. Es verfügt außerdem über einen geringen Hämatokritwert und eine geringe Blutviskosität. In Zusammenhang mit einem großen Herzen sorgt dies für eine hohe Herzleistung. Somit stellt die große Höhe über dem Meeresspiegel für das Kreislaufsystem der Tiere kein Problem dar. Kameliden sind Schwielensohlern, was bedeutet, dass die Fläche des Fußes aus einem weichen Polster besteht, der einen sicheren Gang im Gebirge ermöglicht. Lamas und Alpakas haben außerdem unterschiedliche Nahrungsvorlieben. Lamas nehmen hauptsächlich Büschelgräser zu sich, welche an trockenen Standorten zu finden sind. Mit ihren scharfen Schneidezähnen und dank ihrer gespaltenen Oberlippe können sie diese besonders kurz abbeißen. Alpakas ernähren sich hingegen lieber von kurzen Gräsern, die an feuchteren Standorten wachsen. So können beide Spezies in derselben Region gemeinsam leben, ohne sich gegenseitig die Nahrung streitig zu machen. Ihr Vlies bietet zudem den idealen Schutz, sowohl gegen starke Kälte, als auch gegen Sonneneinstrahlung (vgl. Nürnberg 2005: 21f).
Heutige Funktionen
Das Fleisch von Kameliden hat einen geringen Cholesteringehalt. In gesalzener und getrockneter Form wird es „Charque“ genannt und dient hauptsächlich der armen Bevölkerung als wichtige Eiweißquelle (vgl. Iñiguez und Alem 1996). Fleisch älterer Tiere wird das ganze Jahr über gewonnen und getrocknet, um es in den Tälern zu verkaufen (vgl. Caro 1992: 84). Es wird in Bolivien überwiegend auf ländlichen und urbanen Märkten konsumiert (vgl. Iñiguez und Alem 1996). Da Kamelidenfleisch generell günstiger ist als z.B. Schaf- oder Rindfleisch, spielt es eine wichtige Rolle in der Ernährungssicherung der ärmeren Bevölkerungsanteile (vgl. Gerken 1997: 108).
Das wichtigste Produkt ist jedoch das Vlies der Kameliden. Jährlich werden in den Anden mehr als 5 Millionen Kilogramm an Fasern gewonnen, wobei das Vlies von Alpakas höhere Preise erzielt (Quispe et al 2009: 1). Es dient zur Herstellung verschiedener Produkte, darunter Kleidung, Seile, Riemen und Taschen für die Lagerung von landwirtschaftlichen Produkten (vgl. Iñiguez und Alem 1996). Die Aufbereitung des rohen Vlieses erfolgt laut Gerken (1997: 98) meist in Südamerika, die Herstellung der Textilien jedoch im Ausland. Textilien aus Alpakavlies gelten heute in Europa als Luxusartikel. Traditionelle Arten der Vliesgewinnung finden beispielsweise in Argentinien während des sogenannten „chaku“, einer prähispanischen Technik, statt. Hierbei werden ein Mal im Jahr frei lebende Vikunjas zunächst durch eine Menschenkette eingekreist und zusammengetrieben. Nachdem die Tiere auf traditionelle Art geschoren worden sind, werden diese wieder freigelassen (vgl. Secretaría de Estado de Turismo 2014).
Eine weitere wichtige Funktion ist die bereits erwähnte Eignung der Lamas als Transporttiere. Pro Tier kann eine Last von 12 bis 40 kg getragen werden, abhängig von der Region aus der die Tiere stammen. In 6 bis 8 Stunden können ca. 20km zurückgelegt werden (vgl. Nürnberg 2005: 23ff). Laut Iñiguez und Alem (1996) verkehrten bis Anfang der Fünfzigerjahre von den Andenregionen Boliviens bis in die urbanen Zentren Karawanen von mindestens 100 Tieren, beladen mit getrocknetem Dung, der damals auch noch in den Städten als Brennmaterial zum Kochen verwendet wurde. Seit dem Ausbau der Infrastruktur, dem Aufkommen von LKWs und von anderen Energiequellen in den Küchen der Stadtbewohner dienen die Lamas nur mehr dazu, das Auskommen ihrer Besitzer zu sichern (vgl. Iñiguez und Alem 1996).