über seine Masterarbeit mit dem Titel: „Flucht vor dem NS-Regime – österreichisches Exil in Kolumbien“
von Therese Thaler
Was waren deine Beweggründe für die Wahl deines Themas?
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften habe ich mehrere Jahre in Wien für eine Behörde im Asylwesen gearbeitet. Außerdem interessiere ich mich sehr für Geschichte. Ich habe also versucht, mit der Themenwahl meine beruflichen Erfahrungen und mein Interesse an historischen Ereignissen mit dem Wunsch, mehr über das Land Kolumbien zu erfahren, zu verknüpfen.
Wie haben sich deine Recherchen in Österreich bzw. Kolumbien gestaltet? Welche Herausforderungen waren für dich am größten?
Nun, dass ich Recherchen zu Kriegen und Zeitzeugen sehr interessant finde, wusste ich, seit ich zum Schicksal bzw. den Kriegseinsätzen eines Urgroßvaters und zweier Großväter Nachforschungen in Österreich und im europäischen Ausland angestellt habe.
Zeitzeugen für mein Thema ausfindig zu machen, war sehr zeitaufwändig. Die mir zur Verfügung stehenden sechs Monate Vorbereitungszeit für meine einmonatige Recherchereise (19.04.-16.05.2014) waren jedenfalls nicht zu lange. In vielen Fällen bin ich von einer Kontaktperson zur nächsten weitervermittelt worden. Der Nationalfonds der Republik Österreich hat sich außerdem bereit erklärt, mein Anliegen an Österreicher weiterzuleiten, mit denen er in Kolumbien nach wie vor in Kontakt stand. Rückmeldungen haben oft Wochen oder Monate auf sich warten lassen. Von zwei meiner späteren Interviewpartner habe ich sogar erst vor Ort erfahren.
Die Fahrten zu den Interviews und retour haben oft länger gedauert, als die Interviews selbst. Nicht selten bin ich insgesamt 3-4 Stunden in einem Bus gesessen. In Bogotá, einer Stadt mit ca. 8 Millionen Einwohnern, gibt es nämlich keine U-Bahn.
Insgesamt habe ich 15 Interviews geführt, davon schon vier in Wien und elf weitere in Kolumbien (in Bogotá, Barranquilla und Cali). Von diesen Personen waren sieben „echte Zeitzeugen“, die ihre Heimat als Kinder oder junge Erwachsene verlassen haben. Die übrigen acht Interviewpartner waren Nachfahren von z.T. bereits verstorbenen Zeitzeugen und Mitarbeiter des österreichischen Konsulats bzw. Außenministeriums.
Haben dich die Interviews sehr bewegt?
Das Gesprächsklima ist mit allen sehr angenehm gewesen. Mir ist auch oft angeboten worden, mich ruhig noch einmal zu melden, sollte ich noch Informationen benötigen. Für mich war es beeindruckend, dass mir einerseits erschütternde und sehr persönliche, andererseits fast im selben Atemzug auch wieder witzige Erlebnisse geschildert wurden. Zudem habe ich das Gefühl gehabt, dass die Menschen, die sich entschlossen hatten, sich mit mir zu treffen, sehr interessiert daran gewesen sind, mir die Geschichte ihrer Familie zu schildern. Ein Beispiel: eine meiner Interviewpartnerinnen hat mich gleich zu Beginn unseres Gespräches unterbrochen und gefragt, wie viel Zeit ich hätte, denn sie wollte mir unbedingt später noch etwas von der Zeit vor ihrer Flucht berichten, als sie als junges Mädchen noch im Burgenland gelebt hatte.
Was wolltest du herausfinden? Welche Ziele hast du mit deiner Forschung verfolgt?
Nun, was ich herausfinden wollte, lässt sich vielleicht am besten anhand meiner (in verkürzter Form wiedergegebenen) Forschungsfragen verdeutlichen:
1. Was hat die Menschen dazu bewogen, Österreich zu verlassen und gerade nach Kolumbien zu flüchten?
- Wie gingen die Flüchtlinge mit der Situation in Österreich um? Brachen sie den Kontakt zu ihrer Heimat ab?
- Gibt es eine Hinterlassenschaft dieser damals nach Kolumbien geflüchteten Österreicher?
Was konntest du also herausfinden?
Eine der wenigen Gemeinsamkeiten in den Geschichten meiner Interviewpartner war der Grund, warum sie Österreich verlassen haben. Alle haben versucht, sich vor dem Regime der Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. Die Frage, warum sie allerdings in Kolumbien gelandet sind, kann nicht mehr für alle gleich beantwortet werden. Prinzipiell hat Kolumbien weder vor noch während des II. Weltkrieges zu den typischen Auswanderungsländern wie z.B. Brasilien oder Argentinien gezählt. Zwischen 1938 und 1945 sind ca. 11.580 Österreicher nach Lateinamerika geflüchtet. Zwischen 1934 und 1942 haben laut Statistik aber nur 526 Österreicher Kolumbien erreicht. Die Gründe waren unterschiedlich: einmal war ein naher Verwandter aus beruflichen Gründen bereits in Kolumbien und konnte bei der Einreise helfen. Jemand anderem wurde damals ein Job in Kolumbien angeboten. Eine andere Familie kannte wiederum den damals in Wien tätigen kolumbianischen Botschafter, der ihnen zur Flucht nach Kolumbien riet.
Auch die Antwort auf meine zweite Frage, ob die Österreicher mit ihrer Heimat brachen, war nicht für alle meine Gesprächspartner dieselbe. Aus meiner Sicht hat das Alter zum Zeitpunkt der Ausreise eine große Rolle gespielt. Jungen Menschen ist es in Kolumbien leichter gefallen Freunde zu finden, die Sprache zu erlernen und sich an diese fremde Kultur anzupassen. Zum Zeitpunkt der Ausreise bereits ältere Menschen – von denen manche übrigens sogar noch Erinnerungen an den I. Weltkrieg hatten – waren oft mit größeren Eingewöhnungsproblemen konfrontiert. Prinzipiell könnte man nun vermuten, dass die ältere Generation eher das Bedürfnis hatte, nach dem Ende des Krieges wieder nach Österreich zurückzukehren. Aber ob die Menschen im Endeffekt mit ihrer Heimat gebrochen haben, hing auch von ihren persönlichen Erlebnissen ab. Den schon erwachsenen oder älteren Personen ist in Österreich meist Schlimmeres widerfahren (Aufenthalt in einem KZ, Misshandlung und Demütigungen durch die Gestapo,…) als den Kindern. Das hat ihr Bild von Österreich natürlich unwiderruflich geprägt. Tatsächlich ist keiner der von mir interviewten Zeitzeugen nach Kriegsende auf Dauer nach Österreich zurückgekehrt.
Hinsichtlich meiner letzten Frage nach einer möglichen Hinterlassenschaft von Österreichern in Kolumbien habe ich festgestellt, dass es jedenfalls im Falle mehrerer von mir aufgesuchter Familien ein solches österreichisches Erbe gibt. Einige wurden erfolgreiche Geschäftsleute, haben Firmen bzw. Organisationen gegründet, die noch heute existieren. Andere wurden Inhaber eine Buchhandlung, die Dreh- und Angelpunkt für österreichische Kultur und Literatur wurde. Andere haben sich jahrzehntelang sozial engagiert oder einfach nur die deutsche Sprache und österreichische Küche tatsächlich bis heute am Leben erhalten.
Welches persönliche Resümee ziehst du aus deiner Forschungsarbeit?
Ich halte Zeitzeugenberichte für – natürlich subjektive, aber dennoch – ungemein wichtige historische Quellen und solange noch Zeitzeugen leben, die bisher nicht die Möglichkeit hatten, ihre Erlebnisse zu schildern, besteht meiner Meinung nach noch Forschungspotenzial. Die meisten von uns kennen den II. Weltkrieg nur aus Büchern und Fernsehdokumentationen. Solange es aber noch einige wenige Überlebende gibt, die uns aus erster Hand schildern könnten, wie sie die Zeit damals erlebt haben, sollten wir versuchen, dieses Wissen für die Nachwelt zu erhalten.

Un comentario en “Interview mit Gregor Breier, Absolvent des MA Latin American Studies”
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