Rayen Cornejo Torres*
Übersetzung Andrés Peña*
Nach nun schon mehr als einem Monat, genauer gesagt seit dem 18. Oktober 2019, einem Datum, das als Meilenstein der chilenischen sozialen Bewegungen gesehen werden kann, sind Tendenzen in der Bewegung Chile Despertó Internacional erkennbar.
Man könnte sagen, dass der Ursprung der Bewegung auf die Besorgnis der im Ausland lebenden Chilen*innen zurückzuführen ist bzw. ihrer Verantwortung gegenüber der in der Heimat lebenden Angehörigen..
Einerseits unterstützt man nachdrücklich die Forderungen der Demonstrierenden, die die negativen Folgen des neoliberalen Systems anprangern und damit verbunden auch Themenbereiche betreffend Verfassung, Gesundheit, Bildung, Nutzung der natürlichen Ressourcen, politische Korruption, Pensionsysteme und viele weitere.
Zum anderen besteht die ethische Forderung, die anfängliche polizeiliche und militärische Unterdrückung zu denunzieren, die mehr und mehr in systematischen Menschenrechts-verletzungen gemündet hat.
Chile Despertó Internacional wurde gegründet, um die kollektiven Proteste, die spontan und zeitgleich am selben Wochenende wie in Chile begannen, weltweit zu koordinieren. Dabei bot die Nutzung bestehender sozialer Netzwerke und Organisationen der Chilen*innen in ihren jeweiligen Städten und Ländern eine gute Artikulationsplattform, um gemeinsame Protestaktionen zu entwickeln, die am Montag, den 21. Oktober, vor den Botschaften der jeweiligen Wohnsitzländer stattfanden.
Im konkreten Fall von Wien kam es zu einer spontanen Demonstration am Sonntag, den 20. Oktober. Hier wurde auch die Gelegenheit genutzt, die Teilnehmer*innen über die Idee der Gründung von Chile Despertó Internacional zu informieren, damit bei Gelingen einer guten koordinierten Vorgangsweise mehrerer Städte eine größere öffentliche Wirkung erzielt werden könne.
Marcha para apoyar el estallido social en Viena. Foto: Marisel Orellana Bongola
Am nächsten Tag verdreifachte sich die Zahl der Teilnehmer*innen vor der chilenischen Botschaft in Wien, obwohl diese Aktion während der Geschäftszeiten einberufen wurde. Möglicherweise wussten zuvor viele nicht, wie sich die Ereignisse in Chile entwickelt hatten. Die Mitteilungen der internationalen Presse bezogen die sozialen Unruhen lediglich auf die Erhöhung des Metrotickets in Santiago, der Hauptstadt des Landes, um 30 Pesos, was jedoch die Komplexität der sozialen Krise, die das gesamte Land durchlebt, eindeutig nicht widerspiegelte!
Bei dieser Gelegenheit trat die österreichische Zeitung Der Standard an uns heran, um über die Ereignisse zu berichten und um die Lage und Problematik hinsichtlich der Auslöser der sozialen Unruhen und das weitgehende Ausmaß der Proteste eingehender zu erörtern.
Nach der Demonstration hielten wir unsere erste Versammlung ab, in der der Name Chile Despertó Wien formalisiert wurde. Arbeitsgruppen wurden nach spezifischen Aufgaben und Strategien wie bspw. Koordination und Sprachrohr, Kommunikation, Diplomatie, Kultur gebildet und es wurde ein Tätigkeitskalender für Wien festgelegt. Dies kann somit als Ursprung der darauffolgenden Aktivitäten, Proteste und kollektiven Aktionen verstanden werden, was den öffentlichen Auftritt der Chile Despertó Viena Bewegung vorangetrieben hat!
Um hier einige zu nennen: In derselben Woche fand ein Marsch und eine kulturelle Veranstaltung mit mehr als 500 Teilnehmenden statt, in der sowohl von der österreichischen Presse wie Unsere Zeitung und Der Standard als auch von einigen chilenischen Medien, wie bspw. CNN Chile berichtet wurde. Darüber hinaus wurde die Veranstaltung vom Europaabgeordneten Andreas Schieder, der ehemaligen Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Ulrike Lunacek, Rainbow Rose-Präsidentin Camila Garfias, dem Wissenschaftler Lukas Oberndorfer sowie dem Schriftsteller und Journalisten Erhard Stackl und anderen Aktivist*innen unterstützt.

Zwei Wochen später wurde im Gedenken an die von den chilenischen Streitkräften getöteten 24 Menschen sowie den mehr als 200 Personen, die durch Schussobjekte der chilenischen Polizei ein Auge verloren haben, eine Mahnwache vor der chilenischen Botschaft abgehalten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine Stellungnahme verlesen, die von vielen anwesenden Teilnehmer*innen unterschrieben und in derselben Woche dem Botschafter und dem Konsul von Chile in Österreich überreicht wurde, in der mit Nachdruck auf die besorgniserregende Situation in Chile hingewiesen und die aktuellen Menschenrechtsverletzungen und auf Schärfste verurteilt wurden.
Vernetzungsarbeit mit anderen sozialen Bewegungen wurde ebenfalls betrieben: Vanessa Saavedra und Vinicio Fuentealba vertraten unsere Bewegung und stellten die Situation Chiles auf dem Forum zur aktuellen Situation Lateinamerikas vor, wo neben der Solidarität mit der Krisensituation in anderen lateinamerikanischen Ländern auch Strategien für die Zusammenarbeit festgehalten wurden.
Schließlich fand 4 Wochen nach dem sozialen Ausbruch der erste selbst einberufene Cabildo (eine Art Bürgerrat) statt, der eine kollektive Instanz sein sollte, um die Forderungen der Bevölkerung zu erörtern und das soziale Gefüge zu stärken. Die wichtigsten Themen waren die Probleme, Forderungen und Maßnahmen, die in Bezug auf die aktuell durchlebte Situation des Landes zu verfolgen wären. Ebenso wurden Themen behandelt, die auf Besonderheiten von im Ausland lebenden Chilen*innen eingingen. Unter den Teilnehmenden befanden sich Angehörige verschiedener Altersgruppen, Geschlechter, Migrationssituationen und Zugehörigkeiten zu sozialen Organisationen. In fünf parallelen, diskutierenden Gruppen wurde unabhängig voneinander gearbeitet. Die Ergebnisse, die am Ende des Tages präsentiert wurden, deckten sich größtenteils miteinander.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Chile Despertó Wien eine soziale Bewegung ist, die dem Aufruf von Chile Despertó Internacional gefolgt ist und sich auf verschiedene Initiativen und Vorschläge der Teilnehmer*innen in Wien stützt.
Das organische Konzept wurde prozesshaft entwickelt, um bestmöglich auf Eventualitäten und Notwendigkeiten reagieren zu können und die Durchführung kollektiver Aktionen gemäß den Grundsätzen der Demokratie und der Bürgerbeteiligung möglich zu machen.
*Rayen Cornejo Torres ist Sozialarbeiterin, Historikerin und Sozialpädagogin. Sie unterstützt aktiv die Bewegung Chile Despertó Wien bei Organisationsabläufen und der Koordination der multidisziplinären Teams. Sie lebt seit etwa 3 Jahren in Österreich und studiert derzeit im Master Sozialanthropologie an der Universität Wien.
*Andrés Peña